Der denkmalgeschützte Innenraum der Hedwigskathedrale, 1963 von Prof. Hans Schwippert geschaffen, seit 2018 geschlossen und im Zuge eines Radikalumbaus in Verantwortung von Erzbischof Koch zerstört.

Donnerstag, 31. Oktober 2024

Sankt Hedwig Mitte mit Netzstrumpfmuster

Wenn sich Ende November 2024 Besucher von Sankt Hedwig Mitte in der Kuppelhalle am Berliner Bebelplatz umsehen, werden sie kaum etwas entdecken, was ihr Interesse weckt. Ringsum öde Leere, monotone Wände, dicke Rohre und blasse Fenster. In einer sterilen Atmosphäre stehen im Kreis um eine Halbkugel aus Beton viele Stühle. Ist dies ein Stuhllager? 

Beim Blick nach oben werden sie ein ziellos mäanderndes Muster erkennen und Sinn im Labyrinth suchen. Damit lenkt zumindest etwas von der gähnenden Langeweile ringsum ab. Es werden sich Assoziationen ergeben. Das Liniengewirr auf der weichen Rundung der Innenkuppel erinnert an Netzstrümpfe, was bei Frauen Neugier und bei Männern Erregung auslösen kann. Was trieb die geistlichen Herren dazu, sich mit einem überdimensionalen Strumpfmuster zu umgeben. Dass im Zentrum der Rundung im Strumpfmuster ein großes Loch klafft, steigert die Schlüpfrigkeit. 

Welche Phantasien entwickeln die gelangweilt auf Stühlen ausharrenden Männer, wenn sie den Blick nach oben auf das orientalisch anmutende Dekor richten. Eine animierte Grafik von Netzstrumpfdekor im Umbau der ehemaligen Hedwigskathedrale wurde vom Erzbistum Berlin zu der Zeit präsentiert, als 2023 ein Ausstellung von Daido Moriyama im C / O Berlin gezeigt wurde. Wurden die erotischen Netzstrumpfbilder des japanischen Fotografen von den Umbauverantwortlichen adaptiert?



Unsicherheit bei der Dekoration

Vorher war eine andere Innenansicht der Kuppelhalle als Umbauergebnis öffentlich angekündigt. Sie folgte im Deckenbereich der Rippenstruktur, wie sie mit dem Wiederaufbau der Kuppel nach der Kriegszerstörung vorgegeben war. Strahlenförmig führten Profile von den Stützen hinauf zum Oberlicht und wirkten damit himmelsweisend. 


Muslimisches Dekor nachahmend

Bei dem jetzt ausgeführten Umbau überzieht ein richtungsloses Dekor die Oberfläche der neu eingezogenen Scheinkuppel. Chaos als Abbild göttlicher Ordnung? Der Versuch, muslimische Muster zu imitieren schlug fehl. An die geometrische Virtuosität orientalischer Gestaltung reicht die einförmige Aneinanderreihung von Polygonen nicht heran. Außerdem überzieht das dröge Muster wie eine randlose Häkeldecke die Kuppelinnenfläche. An den Rändern und im Loch in der Mitte franst das Muster aus, als hätten Motten es angefressen.


Das Loch mit Plastikdeckel

Ein Foto zeigt im Ergebnis der Ausführung das Loch in Kuppelmitte mit dem ausgefransten Netzstrumpfmuster und dem bläulichem Plastikdeckel als Wetterschutz. Zu sehen ist die Lücke zwischen der ursprünglichen Dachkuppel und der zusätzlich eingebauten, unnötigen Zusatzkuppel. Stahlträger mit brauner Rostschutzfarbe, Schrauben, Gipskartonkanten und allerlei bautechnische Innereien ragen aus dem Zwischenraum, um den die Kuppelhalle verkleinert wurde.


Letztlich nur vorgefertigte Gipskartonelemente mit Abdeckleisten

Tatsächlich entspricht das Muster weniger einer Gestaltungsabsicht, sondern folgt technologischen Erfordernissen industrieller Vorfertigung. Um eine gewölbte Fläche mit flachem, ebenen Gipskarton zu verkleiden, wurden vorgeschnittene Polygone geliefert, deren Stoßfugen mit Gipsleisten verdeckt wurden, um komplizierte Spachtelarbeiten zu umgehen. Weil keine Rundung ausgeformt werden konnte, ist nun ein Gewirr an Abdeckleisten zu sehen, die Spalten und Lücken kaschieren.

Kaschieren endspricht der Veranlassung und dem Ziel des unnötigen Umbaus – Mehr Schein als Sein.

 

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