Sankt Hedwig Mitte – Ein Ort der Entleerung
Für Spaziergänger mit Darmdruck und voller Blase lockt in Berlins Mitte unter der nackten Kuppel neben der Staatsoper die Erlösung. Ein goldfarbenes Zeichen über dem Mitteleingang weist den direkten Weg zu den Toiletten.
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Der zentrale Eingang führt direkt zu den Unisex-Toiletten. |
Wer die verglaste zentrale Tür durchschritten hat, wird von einem weiten schwarzen Maul eingesogen.
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Der Bedrängte muss sich zum bedrückenden Abstieg überwinden. |
Durch den Treppenschlund geht es tief hinab. Manche empfinden den riskanten Abstieg – stolpernd über nicht enden wollende Stufen – als seien sie in einen lichtlosen Darmtrakt geraten.
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Nur mit Überwindung ist das ersehnte Ziel – der Stuhlgang in der Gruft – erreichbar. |
Endlich im dunklen Gruftkeller angekommen, zeigen sich links und rechts die ersehnten Auswege. Zettel mit den Buchstaben "WC" kleben an Klappen, die Öffnungen zu der erhofften Entlastung freigeben.
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Im Toiletten-Foyer schwärzten die Maler noch drei Wochen nach der Eröffnung die Treppenröhre. |
Mit einem Lächeln erreichen die Bedrängten den Sehnsuchtsort.
Welch ein Glück!
Erleichterung.
Vollständiger Ablass von innerer Belastung
durch frohe Verrichtung der Notdurft.
Das große Ziel ist erreicht – der Stuhlgang.
Für Hygiene-Fetischisten bietet ein eckiger Trog aus schwarzem Beton die Möglichkeit einer Ganzkörperreinigung inmitten eines Stuhlkreises. Anderen Erleichterte können, während sie ihre Stuhlsitzung meditativ fortsetzen, die ritualisiere Säuberung des Abtauchenden beobachten.
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Nur mit Vorsicht besteigbarer kantiger Betonpool inmitten der Gruft. |
Besondere Stuhlgangzeremonien werden mit der Segnung durch einen Herrn in feierlichem Ornat abgeschlossen.
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Nach dem Stuhlgang erwarten die Erleichterten im Stuhlkreis eine Segnung durch den Bischof. |
Der separierte Stuhl als Symbol des Stuhlgangs im Ort der Entleerung
Der separierte Stuhl steht für den Stuhlgang als prägende Symbol, das sich im gesamten Tempel vielfach wiederholt, sowohl im dunklen Keller, wie auch in der bleichen Kuppelhalle darüber. Der alleinstehende Stuhl, getrennt und mit Abstand von allen anderen, feiert den befreienden Stuhlgang, die Trennung von Unverdaulichem und Unerwünschtem. Ergänzend dazu steht die Leere der Kuppelhalle für die gänzliche Entleerung infolge Übelkeit bis zur Substanzlosigkeit.
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Der separierte Stuhl in Sankt Hedwig Mitte als Symbol des Stuhlgangs. |
Textvorschlag für Touristenführer
Das stille Örtchen in Berlins Mitte
Toilettenanlage in der Nähe des Boulevards "Unter den Linden", barrierefrei dank Außenrampe und Aufzug. Sie befindet sich im Keller des Kuppelbaus zwischen Staatsoper und Hotel de Rome. Die WCs sind Teil eines, dank staatlicher Subventionen zur freien, allgemeinen Nutzung bestimmten, öffentlichen Meditationsbereichs (Bezeichnung: "Sankt Hedwig Mitte").
Der Zugang zur Bedürfnisanstalt ist nicht zu verfehlen.
Durch den zentralen, mittleren Torbogen des einladenden Portikus geht es geradewegs zum Toiletteneingang. Wem die lange Treppe in den Keller mit 18 hohen Stufen ohne Zwischenpodest zu steil und zu dunkel ist, der kann den Aufzug nutzen, der nur wenige Meter rechterhand zu finden ist. So gelangt man auf verschiedenen Wegen zu den beiden Unisex-Toiletten, die jeweils barrierefrei ausgestattet sind.
Touristen und nichtkirchliche Gäste dürfen nicht abgewiesen werden. Wenn Sicherheitskräfte die Motivation zu kontrollieren versuchen und nach dem Anliegen fragen, kann jeder wahrheitsgemäß folgendes ausführen:
"Es bedrückt mich etwas. Es drängt mich, einen ruhigen Ort aufzusuchen, wo ich abseits der Hektik der Stadt zu mir kommen kann und mich meditierend erleichtern kann.
So möchte ich dem häufig und deutlich publizierten Ruf folgen:
– Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid ! – "
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