Der Abbruch des spätgotischen Lettners des St.-Paulus-Doms zu Münster im Jahre 1870
Der Lettner im Dom zu Münster von Westen. Aufnahme von F. Hundt, 1863 |
Der St.-Paulus-Dom zu Münster hatte während der Herrschaft der Täufer (1534-1535) seinen ersten gotischen Lettner aus dem 13. Jahrhundert durch Zerstörung verloren.
St.-Paulus-Dom zu Münster, Grundriss 1861, Standort des Lettners |
Einige Reste wurden notdürftig zwischengelagert und fanden über verschlungene Pfade ihren Weg in die Domkammer, wo die Ausstellung verbliebener Teilstücke als wehmütige Reminiszenz und Mahnung an heutige Bilderstürmer verstanden werden kann.
Spärliche Reste des ehemaligen Lettners in einer aktuellen Ausstellung der Domkammer (s. domkammer-muenster.de) |
Die spannende Geschichte kann in der lesenswerten wissenschaftlichen Arbeit von Tobias Schrörs "Der Letter im Dom zu Münster - Geschichte und liturgische Funktion" nachvollzogen werden.[Literaturnachweis und Bestellinformation s. (2)]
Darin zitiert Tobias Schrörs aus einem Gedicht Ludwig Fickers, das 1887 in Münster veröffentlicht wurde. Es beschreibt die Wehmut über den Verlust des Kunstwerks, die Hoffnung auf eine Rekonstruktion erhaltener Teile und mahnt den Respekt vor Leistungen vergangener Zeit an:
Möchten ihre edlen Glieder,
Die zerstreut im Winkel liegen,
Einstens sich an andrer Stätte
Wieder schön zum Ganzen fügen!
[…]
Nicht des grauen Altertumes
Formen sind allein zu schätzen
Unrecht ist es auch, der jüngeren
Zeiten Rechte zu verletzen.
[…]
Wahrlich, in den weiten Räumen
Ist für vieles Platz gegeben,
Und es kann dort jed ́ Jahrhundert
Fort in seinen Formen leben.
[nach (2)].
Vergleich mit der St.-Hedwigs-Kathedrale zu Berlin
Der Vergleich mit dem Schicksal der St.-Hedwigs-Kathedrale zeigt, dass über dieses Verständnis noch heute nicht jeder Verantwortliche künstlerisch wertvoller Bauwerke verfügt. Äußerlich bescheiden erscheinende Persönlichkeiten, können zu innerer Selbsterhebung neigen. Dann mag eigenes Wunschdenken von ihnen als höhere Berufung missgedeutet werden.Natürlich hat beim Wiederaufbau der St.-Hedwigs-Kathedrale das innere Erscheinungsbild eine neue Form gefunden, die von dem vor der Kriegszerstörung abwich. Mehr als 10 Jahre litt das Bistum Berlin am Verlust seiner Kathedrale und musste den schmerzlichen Anblick der Ruine ertragen. Der 1963 vollendete Wiederaufbau war ein Glücksfall für das Bistum in schwerer Zeit. Dass Spuren der Geschichte in der Baugestalt lesbar bleiben, sind Zeichen von Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit, die gerade für ein Gotteshaus unverzichtbar sind.
Nur wer das ignoriert, kann ohne schwerwiegende Gründe und faktischen Anlass (z. B. eine Kriegszerstörung) selbstherrlich in die Baugeschichte eingreifen, angetrieben vom persönlichen inneren Drang, diese "korrigieren" zu müssen.
Im Unterschied zu den Ereignissen in Münster im 19. Jahrhundert waren in Berlin nicht 30 Jahre öffentlicher Diskussion nötig, um das Schicksal der Kathedrale zu besiegeln. Wenigen Auserwählten genügte in geheimer Runde ein einziger Tag im Sommer 2014, um den Plan zur Opferung eines Raumkunstwerks zu beschließen.
Verwunderte Gläubige und Architekturfachleute werden sich die Frage stellen, ob der ehemalige Erzbischof von Berlin, Kardinal Woelki, der die unnötigen Umgestaltungspläne initiierte, in seiner Kölner Zeit als Weihbischof keine Gelegenheit hatte, das Schicksal des Doms eines Suffraganbistums seines Erzbistums Köln kennenzulernen.
Aktuelle Anmerkung:
Allen Schrotthändlern und Orgelvermittlern zur enttäuschenden Information steht die große Klais-Orgel der St.-Hedwigs-Kathedrale momentan (Stand 31. 10. 2014) nicht mehr auf der Abbruchliste der für Demontage und Umbau Verantwortlichen, wie es das Ergebnis des Wettbewerbs noch vorsah.
Quellen:
1. Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen. Band 41: Max Geisberg: Die Stadt Münster. Teil 5: Der Dom. Aschendorff, Münster 1937, S. 105
2. Tobias Schrörs, Der Letter im Dom zu Münster - Geschichte und liturgische Funktion; Forschungen zur Volkskunde, Ausgabe 50; Books on Demand, 2005
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