Der denkmalgeschützte Innenraum der Hedwigskathedrale, 1963 von Prof. Hans Schwippert geschaffen, seit 2018 geschlossen und im Zuge eines Radikalumbaus in Verantwortung von Erzbischof Koch zerstört.

Sonntag, 30. November 2014

Ein anderer Bildersturm zum Vergleich

Der Abbruch des spätgotischen Lettners des St.-Paulus-Doms zu Münster im Jahre 1870

Der Lettner im Dom zu Münster von Westen. Aufnahme von F. Hundt, 1863

Der St.-Paulus-Dom zu Münster hatte während der Herrschaft der Täufer (1534-1535) seinen ersten gotischen Lettner aus dem 13. Jahrhundert durch Zerstörung verloren. 


St.-Paulus-Dom zu Münster, Grundriss 1861, Standort des Lettners
Die spätgotische Wiederherstellung und Neuschöpfung des Lettners durch den Bildhauer Johann Brabender (1498-1561) wurde im Jahre 1870 nach 30-jähriger öffentlicher Diskussion abgebrochen, "da er dem Gottesdienst hinderlich sei und die Teilnahme des Publikums am Gottesdienste zum größten Teil unmöglich mache"[1]. 

Einige Reste wurden notdürftig zwischengelagert und fanden über verschlungene Pfade ihren Weg in die Domkammer, wo die Ausstellung verbliebener Teilstücke als wehmütige Reminiszenz und Mahnung an heutige Bilderstürmer verstanden werden kann.


Spärliche Reste des ehemaligen Lettners in einer aktuellen Ausstellung der Domkammer
(s. domkammer-muenster.de)







Die spannende Geschichte kann in der lesenswerten wissenschaftlichen Arbeit von Tobias Schrörs "Der Letter im Dom zu Münster - Geschichte und liturgische Funktion" nachvollzogen werden.[Literaturnachweis und Bestellinformation s. (2)]

Darin zitiert Tobias Schrörs aus einem Gedicht Ludwig Fickers, das 1887 in Münster veröffentlicht wurde. Es beschreibt die Wehmut über den Verlust des Kunstwerks, die Hoffnung auf eine Rekonstruktion erhaltener Teile und mahnt den Respekt vor Leistungen vergangener Zeit an:

Möchten ihre edlen Glieder,
Die zerstreut im Winkel liegen,
Einstens sich an andrer Stätte
Wieder schön zum Ganzen fügen!
[…]
Nicht des grauen Altertumes
Formen sind allein zu schätzen
Unrecht ist es auch, der jüngeren
Zeiten Rechte zu verletzen.
[…]
Wahrlich, in den weiten Räumen
Ist für vieles Platz gegeben,
Und es kann dort jed ́ Jahrhundert
Fort in seinen Formen leben.
Schon vor fast 130 Jahren hatte ein Münsteraner Stadtrat die Einsicht, dass Kunstwerke anderer Epochen nicht geopfert werden sollten, um Bauwerke in übertriebener Stilreinheit zu überformen
[nach (2)].


Vergleich mit der St.-Hedwigs-Kathedrale zu Berlin

Der Vergleich mit dem Schicksal der St.-Hedwigs-Kathedrale zeigt, dass über dieses Verständnis noch heute nicht jeder Verantwortliche künstlerisch wertvoller Bauwerke verfügt. Äußerlich bescheiden erscheinende Persönlichkeiten, können zu innerer Selbsterhebung neigen. Dann mag eigenes Wunschdenken von ihnen als höhere Berufung missgedeutet werden.

Natürlich hat beim Wiederaufbau der St.-Hedwigs-Kathedrale das innere Erscheinungsbild eine neue Form gefunden, die von dem vor der Kriegszerstörung abwich. Mehr als 10 Jahre litt das Bistum Berlin am Verlust seiner Kathedrale und musste den schmerzlichen Anblick der Ruine ertragen. Der 1963 vollendete Wiederaufbau war ein Glücksfall für das Bistum in schwerer Zeit. Dass Spuren der Geschichte in der Baugestalt lesbar bleiben, sind Zeichen von Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit, die gerade für ein Gotteshaus unverzichtbar sind.

Nur wer das ignoriert, kann ohne schwerwiegende Gründe und faktischen Anlass (z. B. eine Kriegszerstörung) selbstherrlich in die Baugeschichte eingreifen, angetrieben vom persönlichen inneren Drang, diese "korrigieren" zu müssen.
Im Unterschied zu den Ereignissen in Münster im 19. Jahrhundert waren in Berlin nicht 30 Jahre öffentlicher Diskussion nötig, um das Schicksal der Kathedrale zu besiegeln. Wenigen Auserwählten genügte in geheimer Runde ein einziger Tag im Sommer 2014, um den Plan zur Opferung eines Raumkunstwerks zu beschließen. 
Verwunderte Gläubige und Architekturfachleute werden sich die Frage stellen, ob der ehemalige Erzbischof von Berlin, Kardinal Woelki, der die unnötigen Umgestaltungspläne initiierte, in seiner Kölner Zeit als Weihbischof keine Gelegenheit hatte, das Schicksal des Doms eines Suffraganbistums seines Erzbistums Köln kennenzulernen.


Aktuelle Anmerkung:
Allen Schrotthändlern und Orgelvermittlern zur enttäuschenden Information steht die große Klais-Orgel der St.-Hedwigs-Kathedrale momentan (Stand 31. 10. 2014) nicht mehr auf der Abbruchliste der für Demontage und Umbau Verantwortlichen, wie es das Ergebnis des Wettbewerbs noch vorsah.

Quellen:
1.  Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen. Band 41: Max Geisberg: Die Stadt Münster. Teil 5: Der Dom. Aschendorff, Münster 1937, S. 105
2. Tobias Schrörs, Der Letter im Dom zu Münster - Geschichte und liturgische Funktion; Forschungen zur Volkskunde, Ausgabe 50; Books on Demand, 2005

Samstag, 8. November 2014

Warum soll Deutschlands modernster Dom weg?

Berlin – ein sehr junges Erzbistum mit eigener Tradition

Das Bistum Berlin wurde 1930 gegründet. Damit ist es abgesehen vom Bistum Essen und Neugründungen infolge der Wiedervereinigung das jüngste in Deutschland. Es gehört nach der Zahl der Gläubigen zu den kleinsten.
Seine Geschichte umfasst bisher nur 84 Jahre, die am Anfang noch durch Hitlerzeit und Krieg stark beeinträchtigt wurde.
Der Zerstörung seiner Kathedrale trotzte das junge Bistum und richtete mit westdeutscher Hilfe seine Bischofskirche selbstbewusst in moderner Form wieder auf.
Berlin hat damit den jüngsten Dom und den einzigen, der im Geiste des zweiten Vatikanischen Konzils konzipiert und gebaut wurde. Das zarte Pflänzchen der Bistumstradition wird seit nunmehr 51 Jahren auch von diesem Gotteshaus gestützt. 
Vor 20 Jahren wurde der moderne Kirchenbau zum Sitz des Erzbistums Berlin.

Die modernste Kathedrale ist schützenswert

Freut Euch, Katholiken des Erzbistums, über diese einzigartige Kathedrale!
Aber behandelt sie besser! Ein Gebäude muss gepflegt werden, um den Wert zu erhalten. Auch wegen der finanziellen Krise des Erzbistums im Jahre 2003 wurde sie jedoch vernachlässigt. Kontinuierliche Sanierung von Farbe, Ausstattung und technischer Infrastruktur des Bauwerks sind notwendig.
Dann dürfen die Gläubigen dieses kleinen und jungen Erzbistums auch ein bisschen stolz sein auf ihre schlichte, aber innovative Bischofskirche.

St. Hedwigs-Kathedrale zu Berlin, Innenansicht


Alte Bistümer haben Dome aus Mittelalter und Feudalismus

Die alten, mitgliederstarken Bistümer haben Dome aus romanischer, gotischer oder barocker Zeit, die in all ihrer Pracht auch Ausdruck einstiger Macht und damaliger Anschauungen sind. Die Gestaltung zeugt vom Leben der Kirche in der Erbauungszeit.
Gotische Fensterbilder stehen für Analphabetismus des Mittelalters, kostbarer Glanz zeigt den Reichtum der stiftenden Fürsten oder Fürstbischöfe, barocker Prunk demonstriert die Stärke der Gegenreformation. Doch wer käme heute auf die Idee, die farbigen Glasfenster, den kostbaren Raumschmuck oder Deckenmalereien zu entfernen, um diese Dome dem aktuellen Zeitgeschmack anzupassen? Eine selektive Wertung der Bauwerke nach der Entstehungszeit wäre Hochmut der Heutigen.
Wer sich über Altes erhebt, um Tradition auszulöschen, gehört heute schon zu den Gestrigen.


Der Erhalt der Kathedrale wäre ein Bekenntnis zum Reformwillen der Kirche

In den Chor der ehrwürdigen Alten passt auch eine junge Stimme und hält den Gesang lebendig. Trotz seiner Jugend hat das Berliner Erzbistum schon eine eigene Tradition.
Die Form des Wiederaufbaus der St. Hedwigs-Kathedrale führt die Aufbruchstimmung vor Augen, die zur Erneuerung der katholischen Kirche im 20. Jahrhundert führte.
Vielleicht blicken die Hüter der alten Dome sogar ein wenig neidisch auf die fortschrittliche Bischofskirche, die weniger auf mittelalterliche oder feudale Zeiten verweist. 
In der wiederaufgebauten Berliner Kathedrale 
spiegelt sich der Geist des zweiten vatikanischen Konzils. 

Das ist einzigartig und begründet neben der künstlerischen Qualität ihren Denkmalwert. 
Werden sich der neue Erzbischof und seine Diözese auf diesen Schatz besinnen?
Ist die Begegnung mit den Reformplänen des Konzils nicht mehr zeitgemäß oder gar unbequem?

Bevor der modernste deutsche Dom aktualisiert werden muss, hätten es zwei Duzend andere Kathedralen nötiger. Doch das muss gottlob nicht sein. Es bleibt zu hoffen, dass im schlimmsten Fall der staatliche Denkmalschutz die Gläubigen vor Bilderstürmerei ihrer eigenen Kirche bewahrt. 


Vieles erinnert an die 

Geschichte der spielenden Kinder am Meeresstrand

An einer Küste sah man viele Sandburgen. Eine jede liebevoll von einer Gruppe fleißiger junger Leute aufgetürmt. Mal größer, mal kleiner, in verschiedenen Formen.

Inmitten der Großen und Älteren, hatte ein Kreis hoffnungsvoller Knirpse einen eigenen Versuch unternommen, der aber schon nach nur 13 Spielrunden vom Sturm hinweggefegt wurde.
Sie brauchten 20 Runden, bis ihnen mit der Hilfe guter Freunde gelungen war, ihren Turm wieder aufzubauen. Nun konnten sie weiterspielen.
Lange behaupteten sie sich noch gegen eine böse blickende Aufsicht, bis diese endlich verschwand.

Nachdem die Kinder 50 Runden glücklich mit ihrem selbstgebauten Turm gespielt hatten, kam einer von den Großen vorbei.
Ihm gefiel der kleine Turm überhaupt nicht, auf den die Knirpse stolz waren.
Da setzte sich der Große als neuer Anführer zu ihnen und beschloss, 
dass ihr Turm einem neuen weichen sollte. 
Er sagte noch, wo die Kinder die Hacken und Schippen finden können, mit denen sie ihren alten Turm nun selbst wegschaufeln sollen.
Dann ging er wieder zu seiner schönen großen Burg zurück, wo seine Kumpel schon auf ihn warteten.

Die Knirpse schauten staunend hinterher und blieben allein zurück.
Einige durchwühlten ihre Hosentaschen, ob sie überhaupt Geld für die Hacken und Schippen haben. Schüchtern fragten wenige, warum ihr selbstgebauter Turm, der doch fest steht und bisher Freude brachte, überhaupt kaputt gemacht werden soll?

Wie geht es weiter?
Warten die Knirpse, dass ihnen die Großen Hacken schenken?
… oder werden sie selbst größer und klüger?